Mit einem Supraleitungs-Sandwich auf der Suche nach Majorana-Qubits

Überblick

Forscher des Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden – eine Partnereinrichtung des Exzellenzclusters ct.qmat – haben ein Material entdeckt, dessen Ober- und Unterseite supraleitend sind, während sich die Mitte wie ein Metall verhält. Dies ist das erste Mal, dass Supraleitung in Elektronen festgestellt wurde, die in sogenannten „Fermi-Arcs“ auf der Oberfläche gefangen sind. Diese überraschende Entdeckung könnte einen neuen Weg zu bisher nicht nachweisbaren Majorana-Qubits eröffnen.


So wie die Küstenlinie die Grenze zwischen Ozean und Land markiert, so steht in der Festkörperphysik die Fermi-Fläche im Impulsraum für die Grenze zwischen besetzten und unbesetzten Elektronenniveaus. Wie eine Küstenlinie sollte jede Fermi-Fläche eine einzige ununterbrochene Schleife bilden. Anders aber verhält es sich bei dem Material Platin-Bismut-2 (PtBi2), einem Weyl-Halbmetall.


Aufgrund seiner ungewöhnlichen Topologie sind in diesem Fall einige Elektronen in kleinen Kanälen auf seiner Oberfläche eingeschlossen, die „Fermi-Arcs“ genannt werden. Anstatt nun in sich geschlossene Schleifen auf der Oberfläche zu bilden, formiert jeder „Fermi-Arc“ auf der Oberseite des Materials lediglich die Hälfte einer Schleife, die durch einen Bogen auf der Unterseite des Materials vervollständigt wird. „Fermi-Arcs“ wurden bisher nur tief im elektronischen Materialinneren beobachtet. Aber bei dem Material PtBi2 liegen sie fast genau auf der Fermi-Oberfläche.


Erstaunlicherweise sind die „Fermi-Arcs“ auf der Ober- und Unterseite von PtBi2 tatsächlich supraleitend. Das bedeutet, dass die Elektronen interagieren und sich zusammenschließen, sodass sie sich ohne Widerstand bewegen können. Dies ist das erste Mal, dass Supraleitung in „Fermi-Arcs“ auftritt, was durch ihre ungewöhnliche Nähe zur Fermi-Fläche ermöglicht wird. Da die „Arcs“ aus der Topologie der elektronischen Struktur entstehen, eröffnet diese Erkenntnis zahlreiche Möglichkeiten, topologische und supraleitende Phasen in ein und demselben Material zu beeinflussen.

 

In Theorie und Praxis
Die Erforschung der genauen elektronischen Strukturen von Materialien ist die Grundlage, um Materialeigenschaften besser verstehen und in der Folge auch für mögliche spätere Anwendungen vorhersagen zu können. Die Kenntnis ist nur durch die ganzheitliche Forschung aus Theorie und Praxis möglich. Am IFW Dresden arbeiten dafür das Institut für Theoretische Festkörperphysik unter der Leitung von Prof. Jeroen van den Brink und das experimentell ausgerichtete Institut für Festkörperforschung, unter der Leitung von Prof. Bernd Büchner, Hand in Hand zusammen.


„Am Anfang standen detaillierte theoretische Berechnungen, die die Existenz der oberflächennahen Fermi-Arcs im Material PtBi2 voraussagten, also machten wir uns auf die experimentelle Suche nach ihnen“, erklärt Sergey Borisenko, der seit vielen Jahren am IFW Dresden forscht.


Borisenko ist Spezialist für winkelaufgelöste Photoemissionsspektroskopie (ARPES). Bei diesen Experimenten wird extrem ultraviolettes Licht auf ein Material gestrahlt. Dieser Lichtstrahl hat so viel Energie, dass Elektronen aus der Probe herausgeschleudert werden. Die dabei gemessene Energie und der Austrittswinkel, mit dem die Elektronen das Material verlassen, ermöglichen die Rekonstruktion der elektronischen Struktur der Kristalle.


Zwei Supraleiter in einem Material
Borisenko fand die theoretischen Vorhersagen im Experiment bestätigt. In den Messungen fiel jedoch auf, dass sich eine Lücke in der Supraleitung innerhalb der „Fermi-Arcs“ auftat. Diese Lücke - die nur in den „Arcs“ zu finden ist - zeigt, dass diese Eigenschaft lediglich auf die Ober- und Unterseite des Materials beschränkt ist. Man kann sich einen Einkristall aus PtBi2 somit als ein Supraleiter-Metall-Supraleiter-Sandwich vorstellen. Da die Ober- und Unterseite von PtBi2 unterschiedliche „Fermi-Arcs“ aufweisen, werden die beiden Oberflächen unabhängig voneinander supraleitend, mit unterschiedlichen Übergangstemperaturen.


Durch Variation der Dicke eines Einkristalls ist auch die Form der nicht supraleitenden „Sandwichfüllung“ modifizierbar. Dies macht das Material zu einem regulierbaren, intrinsischen Josephson-Kontakt. Diese Schaltelemente sind wichtiger Bestandteil in technologischen Anwendungen wie empfindlichen Magnetometern, supraleitenden Qubits und digitalen Signalprozessoren.


Majorana-Qubits auf der Spur
Die Wissenschaftler hoffen außerdem, dass sie mit dem Material PtBi2 den seit langer Zeit gesuchten Quasiteilchen namens Majorana-Nullmoden auf die Spur kommen. Majorana-Teilchen entstehen sehr wahrscheinlich aus topologischer Supraleitung und könnten als äußerst stabile, fehlertolerante Qubits für zukünftige Quantencomputer verwendet werden. Bisher ist es jedoch nicht gelungen, die Existenz eines Majorana-Teilchens wirklich nachzuweisen.

 

In PtBi2 könnten die Majorana-Moden dann auftreten, wenn die supraleitenden Lücken in den „Fermi-Arcs“ offen sind. Sie würden sich dann an den Rändern um die supraleitenden Oberflächen herum befinden, unmittelbar bei der Fermi-Energie: "In unseren Experimenten konnten wir ein schwaches, winkelunabhängiges Signal genau auf dem Fermi-Niveau messen, das stärker wird, wenn wir stufenförmige Bereiche der Materialoberfläche untersuchen. Dies könnte ein Hinweis auf die Existenz von Majorana-Teilchen sein. Aber diese Vermutung muss erst durch eine genauere Analyse der elektronischen Struktur bestätigt werden", bekräftigt Borisenko abschließend.

Daten & Fakten

08.02.2024

 

Publikation
A. Kuibarov, et al., Evidence of superconducting Fermi arcs, Nature (2024)

 

Abbildung

© IFW Dresden
Schematische Darstellung von supraleitenden "Arcs" und "Weyl cones" im Material PtBi2.

 

Ansprechpartner:innen für Medien

Dr. Sergey Borisenko 
Mail: s.borisenko@ifw-dresden.de
Telefon: +49 351 – 4659 566 

Patricia Bäuchler
Referentin für Wissenschaftskommunikation
Mail: p.baeuchler@ifw-dresden.de
Telefon: +49 351 - 4659 249

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